Tage Alter Musik – Programmheft 2023

TAGE ALTER MuSIK REGEnSBuRG Konzert 4 machen, dabei aber auch Fingerzeige auf ihr außermusikalisches Thema bereithalten. So schreibt die elfte Sonate (Auferstehung Jesu) vor, dass die D-Saite auf g1 zu stimmen ist und damit höher klingen soll als die benachbarte A-Saite auf d1, was damit bewerkstelligt wird, dass beide Saiten zwischen Halter und Steg überkreuz geführt werden (die Bildhaftigkeit erübrigt weitere Kommentare). Generell ist schon darauf hingewiesen worden, dass der Vorgang des Verstimmens eine starke körperliche Metaphorik transportiert. Die Vorstellung vom Dehnen und Strecken der Darmsaiten kann gerade imHinblick auf die fünf sogenannten „schmerzhaften Geheimnisse“ des Rosenkranzes, in denen die Passion im Mittelpunkt steht, zusätzlichen Sinn ergeben. Insofern lässt sich darüber streiten, ob für eine vollständige Aufführung der „Rosenkranzsonaten“ tatsächlich ein Set mehrerer präparierter Violinen bereitzustellen ist – über dessen Beschaffenheit dann diskutiert werden kann – oder ob der Verstimmungsvorgang eines einzelnen Instruments bewusst zum Teil der Darbietung gemacht werden sollte. Überhaupt ist es ein subtiler, aber kein bedeutungsloser unterschied, ob im Verlauf der Sonaten die Saiten derselben Violine in verschiedenen Stimmungen gehört werden oder mehrere unterschiedlich eingerichtete Instrumente. Über die Symbolträchtigkeit des (Ver-)Stimmungsvorgangs hinaus sind die Skordaturen Bibers auch schon in einen Zusammenhang mit der klanglichen Imitation anderer Instrumente gebracht worden. So enthält die sechste Sonate eine „Aria tubicinum“, deren simple Harmonik gemeinsammit den Doppelgriffen der Violine und der paukenähnlichen Behandlung der Basslinie zu einer offensichtlichen Fanfarennachahmung führt; die Skordatur, die hier verlangt wird, ist sicher nicht zufällig die Dreiklangsbrechung c1–e1–g1–c2. Extrem wirkt dagegen die auffallend dissonante Einrichtung für die sechste Sonate, dem „Lamento“, wo die Saiten mit as–es1–g1–d in zwei Quinten im Abstand einer Septim gestimmt sind. Wie oft bemerkt wurde, ist das Potenzial der Skordatur in diesen Sonaten von Biber vielfältiger, radikaler und gleichzeitig subtiler ausgenutzt worden als jemals zuvor oder danach in der Geigenkunst. Heinrich Ignaz Franz Biber, Stich von Höger in Salzburg, in: „Sonatae violino solo”, Nürnberg 1681 27

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