Tage Alter Musik – Programmheft 2023

TAGE ALTER MuSIK REGEnSBuRG Konzert 11 sowie die Arbeit in den unterschiedlichsten Ensembles prägend: Concerto Köln, KlangforumWien, RSOWien, Akademie für Alte Musik Berlin, Freiburger Barockorchester, MusicAeterna Perm (Ru), Les Musiciens du Prince Monaco, Il Pomo d’Oro Zürich. Begegnungen mit Künstlern wie René Jacobs, Louis Langrée, Teodor Currenzis, Maxim Emelyanychev oder Patricia Kopatchinskaja erweiterten seinen Horizont ebenso wie die Reisen durch Europa, den nahen und fernen Osten und nach nord- und Südamerika. Seit 2007 lebt Christian Binde wieder in Deutschland, wo er 2010 gemeinsam mit der Flötistin Annie Laflamme das Ensemble Compagnia di Punto gründete, das er seither künstlerisch wie organisatorisch leitet. zum Programm: Himmelsbeben Ein nur oberflächlicher Blick in die Partitur der 1. Sinfonie von Ludwig van Beethoven dürfte den Musikkennern unter seinen Zeitgenossen schon gezeigt haben, dass mit ihrer Komposition im Jahr 1800 etwas Bemerkenswertes geschehen war. Zwölf Jahre zuvor hatte Wolfgang Amadeus Mozart seine letzte Sinfonie vollendet, die unter den namen „Sinfonie mit der Schlussfuge“ (später als „Jupiter-Sinfonie“) zum Publikumsliebling avancierte. Das ungeheure Werk in C-Dur schien etwas Endgültiges über die Kunst der Instrumentalmusik auszusagen. und nun das: Beethoven, der Rising Star unter den Virtuosen des Wiener Musiklebens, widerborstiger Protegé und hochtrabendes Statussymbol adeliger Avantgardisten, ebenso ungebärdiges wie hochsensibles Genie, das mit halsbrecherischen pianistischen wie schier grenzenlosen improvisatorischen Fähigkeiten bereits in jungen Jahren die Zuhörer faszinierte. Wo er nicht gerade den Hass an die Wand gespielter Kollegen auf sich zog, galt der Komponist extravaganter Kammermusik als Geheimtipp, als er sich mit seiner C-Dur-Sinfonie erstmals an ein großes Publikum wandte. Aber wie! Eine Septime im Eröffnungsakkord des symphonischen Erstlings stellt mit der Tonart zugleich den Sinn einer langsamen Einleitung und die weiterführenden Absichten des Autors infrage. Andererseits scheint er genau zu wissen, was er will, denn die Partitur strotzt geradezu vor Spielanweisungen: Im Vergleich zum Kopfsatz der Jupiter-Sinfonie wirkt das Bemühen Beethovens, den Musikern auf Schritt und Tritt zu zeigen, wie seine Musik zu spielen ist, geradezu manisch: Bei ähnlicher Satzlänge sind die Forte-Anweisungen bei Beethoven mehr als verdoppelt, der dynamische Raum um weitere 19 Fortissimo ausgedehnt! Piano setzt er nur 25 Mal, jedoch drückt er an zwei Stellen die Musik im Pianissimo an die Hörgrenze und fordert mit sieben Fortepiano unvermittelte Klangeinbrüche. 400 Staccato-Keile und 57 scharfe Sforzato-Akzente machen klar, dass diese Musik nicht gedacht ist, im Hintergrund gehört zu werden. Dazu kommen 17 Crescendi und zwei Diminuendi. Beethovens Korrekturlisten, nicht selten erweitert um neue Ideen zu den bereits im Druck befindlichen Werken, müssen für Verleger ein Alptraum gewesen sein. Doch jedes Detail der Partitur rechtfertigte größte Opfer in der persönlichen Auseinandersetzung. Zu Beethovens Genugtuung war es seit der Erfindung des Metronoms möglich, Tempi verbindlich festzulegen – ein Projekt, das er begeistert verfolgt hat. Verbietet es sich vor diesem Hintergrund nicht, Beethovens Musik in irgendeinem Detail anzutasten? Geschweige denn, sie zu arrangieren? Wir antworten mit einer Gegenfrage: Warum hat Beethoven sich selbst, den Kopisten und Verlegern die mühevolle Arbeit zugemutet, quasi jeden Ton mit einer Spielanweisung zu versehen? Er wusste, dass seine „Musik des neuen Weges“ für die Zeitgenossen nicht ohne weiteres verständlich war; sie mussten sie erst hören lernen. Zum tragenden Gerüst werden harmonische Entwicklungen, die durch den dramatischen Einsatz von Dynamik, Rhythmik und Artikulation so ungeheuer an Gestalt und Bewegungsrichtung gewinnen, dass der melodische Anteil mitunter sekundär wird. Aus rhetorischen Floskeln und melodischen Gesten werden räumliche Gebilde, Kadenzen öffnen Tore in unbekannte Räume, und anstelle von Charakterdarstellungen entstehen ganze Welten. um das zu hören, ist es weniger wichtig, mit welchen Instrumenten, also was gespielt, sondern wie gespielt wird. Beethovens Freund und Schüler Ferdinand Ries war wohl einer der Ersten, der dessen dritte Sinfonie „Eroica“ zu hören bekam - und zwar gespielt von Beethoven persönlich, allein am Klavier. Wir können ahnen, wie beeindruckend der Vortrag gewesen sein mag, wenn Ries schreibt: „Ich glaube Himmel und Erde muss unter einem zittern bei ihrer Aufführung“. Von Ries wissen wir auch, dass Beethoven Bearbeitungen nicht grundsätzlich ablehnend gegenüberstand – nur waren sie für ihn eine Sache von höchster Kunstfertigkeit. Beethoven stellte an einArrangement denAnspruch einer neukomposition. Immerhin vier seiner Werke hat der Meister selbst arrangiert und Ries weitere Arbeiten übertragen, diese durchgesehen und unter eigenemnamen verkauft. Damit folgen beide einer gängigen Praxis ihrer Zeit. Die Sammlung André Im Jahr 1809 erschien beim Verlag Jean André in Offenbach amMain eine Sammlung von sechs der damals wie heute beliebtesten SinChristian Binde, Leitung und Naturhorn Foto: Magdalena Halas 73

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