Tage Alter Musik – Programmheft 2023

TAGE ALTER MuSIK REGEnSBuRG Konzert 13 ein zynischer Lügner und Opportunist. Mit Agamemnons Hilfe wird Hekuba Polymnestor in das Lager locken, in dem die trojanischen Frauen Rache an ihm nehmen – sie werden ihm die Augen ausstechen und seine Kinder töten. Am Ende findet die Geschichte ihre Katharsis: Hekuba wird durch den Vollzug ihrer Rache geläutert und Polymnestor beginnt in der Finsternis seiner Blindheit die Zukunft vorherzusehen. Unsere Aufführung Dialogos bezieht sich für diese musikalische Bühneninszenierung auf zwei Quellen aus der Zeit der Renaissance. 1506 hatte Erasmus von Rotterdam eine lateinische Version des griechischen Dramas „Hekuba“ von Euripides aus dem 5. Jh. v. Ch. verfasst. Diese wurde von dem venezianischen Schriftsteller Ludovico Dolce (1508-1568) ins Italienische übersetzt. Dolces elegante Fassung veranlasste wiederum den kroatischen Schriftsteller Martin Držić (Dubrovnik, 15081568), den italienischen Text zu überarbeiten und ihn ins Kroatische zu übersetzen. Das Stück wurde schließlich 1559 in Dubrovnik uraufgeführt, nachdem es zweimal von ortsansässigen Autoritäten als zu „turbulent“ verboten worden war. Dolce und Držić, Zwillingsbrüder der Adria, die beide im gleichen Jahr geboren wurden und starben, ruhen heute in zwei Kirchen Venedigs; nur ein paar enge Gassen, wo kein Wind weht, und Kanäle, in denen das Wasser der Adria steht, trennen sie. Ihre zwei Stadtrepubliken, Dubrovnik und die Serenissima Venedig, standen zu der Zeit, als sie ihre Hekubas schrieben, als zwei Festungen auf den einander gegenüberliegenden Küsten des Adriatischen Meeres. Sind die beiden Autoren sich jemals begegnet? Die Fassung von Dialogos kreuzt Dolces und Držićs Versionen der Geschichte. In diesem Drama für Gesangssolisten, Instrumentalisten und eine traditionelle dalmatinische Gesangsgruppe, die als griechischer Chor eingreift, singen Griechen und Trojaner zusammen und treten einander im altitalienischen und altkroatischen Dialekt gegenüber. Die Musik Die musikalische Sprache unserer Hekuba entstand in der Werkstatt von Dialogos, die auf mündliche Überlieferung und Improvisationstechniken spezialisiert ist. Dabei stützen wir uns auf Quellen aus dem 16. Jh. aus Dubrovnik und Venedig sowie auf die bis heute erhaltene traditionelle Musik aus der Region um Dubrovnik. Die musikalischen Quellen sind zahlreich und mannigfaltig: in den venezianischen Salons, in den ridotti und accademie („Clubs“ und Treffpunkte der Humanisten) war Musik allgegenwärtig. Für Singstimme mit Begleitung arrangierte Madrigale wurden aufgeführt, improvisierte Lyrik wurde vorgetragen und musikalisch begleitet. Cantori al liuto wie Ippolito Trombocino, den Ludovico Dolce selbst erwähnt, sangen Lieder, zu denen sie sich selbst auf der Laute oder einem anderen Instrument begleiteten. Die Quellen beziehen sich auch auf die Parodien der schivoni (Slawen), die in einem entstellten venezianischen Dialekt sangen und sich dabei auf der viola da bracchio begleiteten. Dolces Tragödie „Die Trojanerinnen“ wurde durch musikalische Intermezzi aufgewertet, die sein Zeitgenosse Claudio Merulo, Organist an San Marco, komponiert hatte. Cornelio Frangipane, Verfasser einer „Tragedia“ (1574), äußert sich lobend zu Merulos Musik, die nicht nur in Form von Zwischenspielen oder Chören am Ende eines Akts zum Tragen kamen, sondern auch die Deklamation der Schauspieler musikalisch unterlegte. Leider ist diese Musik verlorengegangen. Jedoch bezeugen Editionen von Gedichten mit Musikbegleitung aus dem 16. Jh. - wie z. B. strambotti, giustiniane oder gregesche – einen Zusammenhang zwischen gelehrter Tradition vokaler Polyphonie und ihrer Interpretation durch die Dichtersänger in den Salons der Humanisten und bei Theateraufführungen. Am anderen ufer der Adria, im Dubrovnik der Renaissancezeit, durchdrang Musik alle Lebensbereiche: die Accademia dei Concordi versammelte Humanisten, der französische Komponist Lambert Courtois prägte das musikalische Leben der Stadt …. Im Jahr 1533 wurde in Dubrovnik die kroatische Übersetzung von Polizianos Tage Alter Musik 2011, Dialogos & Kantaduri in der Dominikanerkirche Foto: Hanno Meier 89

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