Tage Alter Musik – Programmheft 2023

TAGE ALTER MuSIK REGEnSBuRG Mai 2023 Dieser zentrale christliche Glaubensinhalt hat indes seine Vorläufer: So waren einige jüdische Gemeinschaften von der Auferweckung auserwählter Toter, der Gerechten, überzeugt. Aus einer Perspektive, die Jesus im Zusammenhang mit jüdischen Traditionen sieht, erscheint auch seine Auferstehung als Teil einer jüdischen Lehre. Berichte über auferstandene Tote bzw. entsprechende religiöse Motive gab es auch in der Antike sowie in der altpersischen Religion des Zoroastrismus und in der ägyptischen Religion; also in drei der ältesten Religionen. Überall verbinden die Gläubigen damit die Hoffnung auf die Existenz eines Erlösers, eines Retters oder Messias. Eine vergleichbare Verbreitung hatte die Idee der Himmelfahrt in verschiedenen Religionen, da sie meist der Auferstehung folgte. So erfuhren Helden und andere Gestalten der griechischen Mythologie nach demAbleben eine Apotheose, die sie als Sternenbild am Himmel prangen ließ, und prominent fährt etwa der Prophet Elias im Alten Testament in einem Feuerwagen gen Himmel. Im neuen Testament selbst gibt es ebenfalls eine Art Vorläufer, einen Vorgriff auf das Osterwunder, eine Prolepse, nach welcher Jesus selbst an einem anderen Menschen die Auferstehung bewirkt. Lazarus, der verstorbene Bruder von Maria und Martha, wird aus dem Grab ins Leben zurückgerufen, was bis dahin den Höhepunkt des Wunderwirkens darstellt, demonstriert es doch nicht weniger als die Kraft zum Sieg über den Tod, was den neuralgischen Punkt der christlichen Heilserwartung bildet. eine Würdigung des weiblichen Beitrags Wer als erster bemerkt, dass das Grab leer ist und die Botschaft erhält, dass Jesus von den Toten auferstanden sei, wird in den unterschiedlichen Evangelien abweichend dargestellt. Übereinstimmung herrscht bei Markus (dem ältesten Evangelium) und Johannes in dem Punkt, dass es Frauen waren. Insbesondere Johannes präzisiert, dass es sich dabei umMaria Magdalena gehandelt habe. Wir kennen sie aus der Passionsgeschichte – also der Erzählung von Jesu Leidensweg bis zum Tod am Kreuz -, in der sie zusammen mit Maria von nazareth (der Mutter Jesu) seine letzten Stunden begleitet, während die Jünger sich bereits versteckten oder geflohen waren, weil sie Verfolgung befürchten mussten. Maria Magdalena war es auch, die sich mit um den Leichnam kümmerte und nun sein Grab besuchte, um die hastig erfolgte umwickelung mit dem Schweißtuch – einer Reliquie, die als Turiner Grabtuch verehrt wird – mit einer ordnungsgemäßen Einbalsamierung zu korrigieren. Das Schweißtuch der Grablegung erwähnt der Oratorientext mehrfach, da es, des verschwundenen Körpers entledigt, zum sichtbaren Zeichen (neben dem entfernten Stein, der das Grab verschloss) des geschehenen Wunders und somit zum Symbol der christlichen Hoffnung wird. Entsprechend singt der Tenor (Petrus) in seiner „Schlummer“- Arie: „Sanfte soll mein Todeskummer, nur ein Schlummer, Jesu, durch dein Schweißtuch sein.“ Der eminent weibliche Beitrag zum Geschehen, die hervorgehobene Rolle der beiden Marien zu einem Zeitpunkt, als kein Mann mehr anwesend war, um eine würdige Pflege des Leichnams zu besorgen, wird im Oratoriummit geradezu feministischer Geste bedacht, wenn im ersten Rezitativ vom Alt (Maria Jacobi) die Anklage erhoben wird: „O kalter Männer Sinn! Wo ist die Liebe hin, die ihr dem Heiland schuldig seid?“, und der Sopran (Maria Magdalena) weiteres Salz in die Wunde streut: „Ein schwaches Weib muss euch beschämen!“, was die Schwäche natürlich zugleich relativiert. Entsprechend schämen sich Petrus (der Jesus verleugnete) und Johannes (Bass) dann auch: „Ach, ein betrübtes Grämen und banges Herzeleid“. Musikalische Gestaltung Beide Werke sind an Satztechniken, Formen und Kunstgriffen reich, die wir aus Bachs anderen Oratorien und Kantaten kennen und schätzen. Wir hören einleitende, den „Ton“ setzende Sinfoniae – wobei Bach sich imOsteroratorium gleich zwei instrumentale Einleitungen leistet, die erste freudig und festlich, die zweite (Adagio), in die Szenerie der Grabstätte einführend, schmerzhaft und betrübt -, weiter ausführliche Rezitative mit mehreren Beteiligten; sie repräsentieren Bachs Kunst, an der Sprache und Situation orientiert zu komponieren, also seinen „rhetorischen“ Zugriff, und fügen aus nur wenigen Sätzen kleine dramatische Szenen zusammen. AußerdemwerdenArien und Duette in Da-Capo-Form geboten, die der Gesangsstimme häufig ein charakteristisches Soloinstrument beigeben und zwischen situationsbedingtem Affekt und frommer Andacht changieren. Kenner der Musik Bachs werden viele nummern wiedererkennen. So besteht das Osteroratorium zu einem großen Teil aus der Musik der „Schäferkantate“ (BWV 249a). und hinter nr. 4 von BWV 11 („Ach, bleibe doch, mein liebstes Leben“) verbirgt sich die Musik der Altarie „Agnus Dei“ aus der h-Moll Messe. Sie stammt ursprünglich aus der „Hochzeitskantate“ (BWV Anh. 196), wurde neu textiert als so genannte Parodie für das Oratorium übernommen und dann nochmals in der Messe verwendet. Solche Parodien waren üblich und notwendig, um dem hohen Arbeitsaufkommen, das die musikalische Versorgung im Amt des Thomaskantors mit sich brachte, zu begegnen. Schließlich machen die Chöre den prunkvollen Anteil der Musik aus. Sie greifen überwiegend auf bestehende Choräle zurück, die dann musikalisch ausgearbeitet werden. Der durchaus mit seinem Gegenstück im Weihnachtsoratorium vergleichbare Schlusschor von BWV 11 etwa verarbeitet eine Zeile aus dem Choral „Gott fähret auf gen Himmel” (Gottfried Wilhelm Sacer, 1697) zu einer hochpolyphonen Choralphantasie mit der Melodie (Cantus firmus) im Sopran und einem prächtigen und hoffnungsvollen Abschluss in D-Dur. Im Himmelfahrtsoratorium gibt es im Gegensatz zu BWV 249 einen Erzähler, der durch die Handlung führt und der Gestaltung des Evangelisten in den großen Oratorien entspricht. Kurz mögen die beiden Stücke sein. Doch können sie als Kondensate von Bachs oratorischer Kunst gehört werden, die aufgrund ihrer Vielseitigkeit und Souveränität der Komposition keine Wünsche offen lassen. Durch ihre Zusammenstellung ergibt sich ein ganzes Panorama an heilsgeschichtlichen Stationen vom Tod bis zur Auferstehung, das mit dem reichhaltigen Kosmos an musikalischen Gestaltungsweisen korrespondiert und zugleich reflektiert wird. Autor: Gregor Herzfeld, Universität Regensburg CD: Regensburger Domspatzen – Erschaffen 12

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