Tage Alter Musik – Programmheft 2023

TAGE ALTER MuSIK REGEnSBuRG Mai 2023 hinlege, denke ich: ‚Wie lange dauert es, bis ich aufstehe?� Die nacht zieht sich hin und ich wälze mich hin und her bis zum Morgengrauen.“ Josquin Desprez’ Playne de dueil et de melancholie, das unter anderem in Margarete von Österreichs Chansonnier enthalten ist, hat einen wunderbar zweideutigen Text: „Voller Schmerz und Traurigkeit, wenn ich sehe, dass mein Leiden ständig zunimmt, und dass ich es am Ende nicht mehr ertragen kann. Ich bin gezwungen, um mich zu trösten, dir den Rest meines Lebens zu geben.“ Man stelle sich einen Liebhaber vor, der spricht, aber vielleicht auch einen Künstler, der sich trotz der damit verbundenen Herausforderungen der Kunst hingibt – eine der möglichen Interpretationen von Dürers Melencolia I. Das Lied Malheur me bat („Das unglück hat mich ereilt“) gibt uns Rätsel auf. Der Originaltext ist nicht bekannt, obwohl Musik unter anderem in Petruccis Odhecaton erhalten ist. Josquin schrieb eine Messe auf der Grundlage dieses Chansons und er komponierte ein bemerkenswert obskures abschließen - des Agnus Dei für 6 Stimmen, von denen vier einander in sehr kurzem Abstand von nur einer halben note (vgl. „Fuga ad minimam“) „jagen“. Als Ergebnis hören wir Musik, die wie eine Rauchwolke klingt und beim Zuhörer – und wahrscheinlich auch beim Interpreten – viele Fragezeichen hinterlässt. Die Porträts, die Dürer von seinen Eltern Albrecht und Barbara anfertigte, berühren und konfrontieren zugleich. Der Künstler porträtierte sie beide 1490 und malte sie anschließend noch einmal 1497 (Albrecht) und 1514 (Barbara), zwei Monate vor ihrem Tod. Die Auswirkungen der Zeit und die Härten des Lebens sind sichtbar. nach Barbaras Tod schrieb Dürer: „Das ist meine fromme Mutter. […]. Sie hatte oft die Pest und viele andere schwere und seltsame Krankheiten, und sie litt unter großer Armut, Hohn, Verachtung, höhnischen Worten, Schrecken und großen Widrigkeiten. Doch sie trug keine Bosheit. Auch starb sie schmerzlich […]. Ich fühlte mich so betrübt um sie, dass ich es nicht ausdrücken kann.“ Auch das Leben von Dürers Vater, Albrecht, war nicht einfach. Laut seinem Sohn „verbrachte er sein Leben in großer Mühsal und harter Arbeit und hatte nichts zu seinem unterhalt außer dem, was er für sich selbst, seine Frau und seine Kinder verdiente. Er durchlief viele Bedrängnisse, Prüfungen und Widrigkeiten, aber er gewann nur Lob von allen, die ihn kannten. Er war auch wortkarg und ein gottesfürchtiger Mann.“ InAnbetracht von Dürers Darstellung seiner Eltern führen wir den Introitus aus Févins Missa pro fidelibus defunctis zu ihremGedenken auf, der ihren Glauben und ihre Hoffnung widerspiegelt. Wir fahren mit zwei Stücken fort, welche die Strapazen, die sie ertragen mussten, würdigen. In den Vokalversionen zitieren beide die Klagelieder Jeremias: „Alle, die ihr diesen Weg geht, schaut und seht, ob es einen Schmerz wie meinen Schmerz gibt.“ Betende Hände (1508), eine Studie zur Vorbereitung eines Altarbildes, führt das Thema Demut und Gottesfurcht fort und porträtiert eine Geste, die noch heute erkennbar ist. Die Geste der erhobenen Hände suggeriert Demut, Bewusstsein für die Zerbrechlichkeit unseres irdischen Daseins, während unsere Finger zum Himmel zeigen. Aber es drückt auch Vertrauen und Hoffnung auf die helfende Hand Gottes aus. Gemäß der Heiligen Schrift wurde Christus einmal nach der richtigen Art zu beten gefragt. Seine Antwort war, seine Anhänger das Vaterunser zu lehren, in dem Gott mit „unser Vater, der im Himmel ist“ angesprochen wird. Dies motiviert unsere Wahl für Josquin Desprez’ Pater Noster. Porträt von Barbara Dürer, geb. Holper, 39 jährig, 1490 Porträt Albrecht Dürers des Älteren, 63 jährig, 1490 Bildnis der Mutter, März 1514 Porträt Albrecht Dürers des Älteren, 70 jährig, 1497 20

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